Wandmalereien

Soest-Ostönnen

Evangelische Kirche, ehem. St. Andreas, Kirchplatz 10


Soest-Ostönnen, ev. Kirche, ehem. St. Andreas, Grundriss (durch Anklicken der roten Markierungen werden die Kartierungen geöffnet).


Baukörper
Basilika von zwei Jochen mit quadratischem Chor und eingezogener, fast halbrunder Apsis. Der mächtige Westturm in den unteren Geschossen vom Vorgängerbau übernommen. Die Ostwände der Seitenschiffe weisen jeweils eine Altarnische auf, deren Stirnbögen von eingestellten Säulen mit reich verzierten Würfelkapitellen getragen werden. Besonders qualitätvoll durchgebildete Bauornamentik.

Baudaten
Turm vermutlich 1. Hälfte 12. Jahrhundert, Basilika einheitlich aus dem 3. Viertel des 12. Jahrhunderts (1163 dendrochronologisch datiert), südlicher Sakristeianbau 19. Jahrhundert.

Romanische Raumfassung
Neben den architektonischen und bauplastischen Qualitäten der Kirche tritt die bauzeitliche romanische Innenraumfassung mit dem ungewöhnlichen gemalten Triforium auf dem Obergaden des Mittelschiffs und Chorjochs, den gemalten Bogenstellungen seitlich der Fenster und dem Gewölbeschmuck aus vegetabilem (unter anderem Lebensbaummotive) und geometrischem Dekor und Gratbegleitbändern als besonderes Zeugnis künstlerischen Schaffens hervor. Die Architektur wird durch diese 1960/61 aufgedeckten und restaurierten, lediglich aufgemalten Bauglieder und Ornamente ergänzt und weiter untergliedert, wobei die farbliche Gestaltung die Baukonzeption erst vollendet. Die figürliche Darstellung des Opfers von Kain und Abel auf der Westwand gehört zur Raumfassung.

Figürliche romanische Wandmalerei
Westwand des Mittelschiffs: Opfer von Kain und Abel.
Kalotte der Hauptchorapsis: Majestas Domini mit Heiligen

Werktechnik/Maltechnik
Westwand: Dünner, vermutlich einlagiger Verputz von unterschiedlicher Glättung. Die Malerei wurde auf den noch feuchten Putz aufgetragen, daher sind zumindest die Vorzeichnungen und die Binnenfarben freskal abgebunden. Dies belegt auch ein Schnurschlag als Konstruktionshilfe, der sich im feuchten Putz abgedrückt hat. Beim Auftrag weiterer Modellierungen, wie z.B. Weißhöhungen, war der Putz bereits abgetrocknet. Festgestellte Pigmente: Grüne Erde, Eisenoxidrot, Ocker, Ultramarin.
Apsiskalotte: Kalkseccomalerei auf einer ca. 1 mm dicken Kalktünche auf dem bereits gealterten Verputz. Die Nimben, aber auch Attribute wie Buch, Gewandschließen und Borten wurden durch Vertiefungen in den Altputz (eingeschnittene Putzmodulationen) betont. Kleinste Goldreste lassen deren einstige Vergoldung vermuten. Die Vorzeichnung der Figuren erfolgte in Eisenoxidrot, auf den darauf flächig angelegten Binnenfarben wurden die schwarzen Konturen flott und prägnant gezeichnet. Die farbige Modellierung fehlt heute zum größten Teil, scheint aber an den Gesichtern gar nicht vorhanden gewesen zu sein. Der Bildhintergrund war blau (Azurit auf Pflanzenschwarz). Weitere Pigmente: Kupfergrün, Bleimennige, Ocker, Eisenoxidrot.

Restaurierungsgeschichte
Malereien der Westwand und Raumfassung 1960 freigelegt und restauriert, erneute Restaurierung 1989.
Apsiskalotte bereits 1928 freigelegt, 1944 wieder überlasiert, 1961 erneut freigelegt und restauriert.
Erneute Konservierung und Restaurierung des Innenraums und seiner Wandmalereien 2016.
Die erhaltenen Malereipartien zeigen eine starke Reduktion der Malschichten. Trotzdem lässt sich der Aufbau der Malerei von der Konzeption auf der Wand bis hin zu einigen Lichthöhungen und Modellierungen als abschließende Malvorgänge ablesen. Bei der Apsiskalotte fehlen besonders im unteren Bereich umfangreiche Teile der Bilddarstellung.

Beschreibung und Ikonografie
Im Zentrum der Westwand des Mittelschiffs ist ein großer gemalter Wandbehang drapiert, um den sich die Bildszene gruppiert. Dicht über dem Wandbehang erscheint Gottvater vor ultramarinblauem Hintergrund mit zum Segensgestus erhobener Rechten. Zu Seiten des Wandbehangs stehen Kain und Abel in spiegelbildlicher Anordnung. Beide wenden sich demütig mit gebeugten Knien und zugleich im Schreitgestus zu Gottvater hin und reichen mit verhüllten Händen und in den Nacken gelegten Köpfen ihre Opfergaben – Abel das Lamm und Kain das Ährenbündel – empor. Sie tragen kurze, gegürtete Tuniken, deren weißlicher, dünner Stoff von den Schultern an in Erscheinung tritt. Dort sind die grünen Obergewänder mit Fibeln zusammengefasst, führen am Rücken herab und fallen – gleichsam die Hände verhüllend – vor dem Körper als Stoffbahn herab. Es ist der Moment der biblischen Erzählung geschildert, in dem Gottvater Abel, aber nicht Kain segnet. So steht Abel auch zur Rechten Gottes, dort, wohin die Segenshand weist.
Die Opferszene gilt als Sinnbild für die christlichen Messopfer. Deshalb hätte sich von der Ikonografie her angeboten, den Wandbehang als Antependium, also als vor einen Altar gehängten Schmuckbehang zu konzipieren, der in dieser Funktion im Verhältnis zu den Figuren niedriger ausgefallen wäre. Dass dies nicht geschah, spricht für die zunächst nicht geplante, aber aus maltechnischen Gründen doch gleichzeitig ausgeführte Hinzufügung der Opferszene, bei der nun der großformatige Wandbehang etwas unverbunden neben den zierlichen umgebenden Akteuren steht. Diese Szene befindet sich als typologische Vorausdeutung des Messopfers häufig in der Nähe des Altars (z. B. in der Pfarrkirche von Bochum-Stiepel). In Ostönnen ist dort an dem doppelten Bogen kein Platz vorhanden, was das Ausweichen auf die Westwand erklärt.
In der Apsiskalotte thront Christus in der Mandorla mit Zepter und segnend erhobener Rechten. Diese Majestas Domini-Darstellung wird umgeben von den Symbolen der Vier Evangelisten, von denen nur noch die oberen, der Engel für Matthäus und der Adler für Johannes, erhalten sind. Zu Seiten der Mandorla stehen zur Rechten Christi die Gottesmutter Maria und zur Linken Johannes der Täufer, die als Fürbitter für die Menschen bittflehend zu Christus hingewendet sind. Die Majestas Domini wird dadurch zur Deesis erweitert. Neben Maria ist ein Heiliger Bischof, vermutlich der hl. Nikolaus, zu sehen, neben Johannes steht eine weibliche Heilige, wahrscheinlich die hl. Katharina. Im unteren Bereich der Kalotte sind große Fehlstellen zu verzeichnen, von der Figur des Johannes ist nur noch ein kleiner Rest vorhanden.
Auf den Wandflächen der Apsis seitlich des Fensters gibt es keinerlei Befunde einer figürlichen Ausmalung. Hier stand offenbar wie heute die bauzeitliche Raumfassung zu der 80-90 Jahre jüngeren figürlichen Gestaltung der Apsiskalotte. Umgekehrt fehlen auch jegliche Befunde für eine ältere Farbfassung der Kalotte.

Kunsthistorische Einordnung
Westwand: Die zierlichen und bewegten Figuren von Kain und Abel mit ihren eng anliegenden, weich fließenden Gewändern sind deutlich der Malereitradition des 12. Jahrhunderts zugehörig, wie sie in den bedeutenden rheinischen Wandmalereizyklen aus dem Kapitelsaal von Brauweiler und der Doppelkirche von Schwarzrheindorf aus dem 3. Viertel des 12. Jahrhunderts überliefert sind. Ihre souveräne Ausführung verrät eine geschulte Hand. Die Opferszene in Ostönnen lässt sich in Komposition und Stil gut mit der Opferszene auf der Ostwand der Vierung in der Dorfkirche von Bochum-Stiepel vergleichen.
Auch der gemalte Wandbehang auf der nördlichen Schildbogenwand in Stiepel, seitlich der Abelfigur, ist in seiner Komposition so ähnlich, dass die Tätigkeit einer Malerwerkstatt oder zumindest eines Figuristen, der eventuell auch die Wandbehänge malte, in beiden Kirchen erwogen werden muss.
Apsiskalotte: Die fragmentarischen spätromanischen Darstellungen in der Kalotte zeigen weniger deutliche Ähnlichkeiten mit den erhaltenen Monumentalmalereien als mit der Soester Tafelmalerei, wie dem Gnadenstuhlretabel (Berlin, Staatliche Museen, Gemäldegalerie) und der Madonnentafel (Florenz, Bargello). Die kräftigen, körperlich erfassten Figuren mit den reichen Gewanddrapierungen finden sich aber auch in der Nikolaikapelle in Soest, dort jedoch mit anders gearteten Köpfen und altertümlicheren Architekturen. Der Vergleich mit um die Jahrhundertmitte und kurz danach entstandenen Werken Soester Provenienz macht eine Datierung der Zackenstilmalereien der Apsiskalotte im selben Zeitraum äußerst wahrscheinlich.

Datierung
Westwand: 1170/80, Apsiskalotte: um 1260.