Wandmalereien

Bad Sassendorf-Weslarn

Evangelische Kirche, ehem. St. Urbanus, Kirchkamp 1



Bad Sassendorf-Weslarn, ev. Kirche, ehem. St. Urbanus, Grundriss (durch Anklicken der roten Markierungen werden die Kartierungen geöffnet).



Baukörper
Hallenkirche von zwei Jochen mit Westturm, quadratischem Chor und halbrunder Apsis. Apsisnische in der Ostwand des Nordschiffes. Südlich am Chor Kapelle mit Apsis, jetzt Sakristei.

Baudaten
Turm, Chor und ehem. Kapelle ausgehendes 12. Jahrhundert (um 1160/70), Langhaus Mitte 13. Jahrhundert.

Romanische Raumfassung
Ehem. Kapelle: 1973-76 Freilegung und Restaurierung.
Von den Säulen der gemalten Bogenstellung um das einzige Rundbogenfenster des Raumes in der Südwand haben sich noch der Rest eines Kapitells und ein Teil des Schaftes erhalten. Die weißen Grate des Gewölbes waren im Negativ durch die begleitenden Rankenbänder betont, die in der West- und Ostkappe rot und im Norden und Süden grau unterlegt waren. Auf diesen Farbbändern, die aus marmorierten Zwickelschuhen aufsteigen, stehen zarte, weiß gezeichnete Ornamente: Mit Palmetten gefüllte Wellenranken, umschriebene Palmetten und Kreuzblüten in Medaillons. Nächst verwandt finden sich diese Motive in der Soester Petrikirche. Darüber hinaus stehen dort zentral in den Gewölbekappen auf weißem Tünchegrund Medaillons mit gefiederten roten Palmetten, die ein Kreuzmotiv ergeben. Reste dieses Dekors sind auch im Weslarner Kapellengewölbe zu erkennen.
Kirchenschiff: 1898 erstmals freigelegt und 1900 annähernd getreu übermalt, 1955-58 erneut freigelegt und restauriert.
In den Mittelschiffsgewölben sind – anders als bei den meisten der untersuchten Raumfassungen – die Grate selbst malerisch betont. So werden im Westjoch die aus ornamental verzierten Zwickelschuhen erwachsenen Gewölbegrate von aufsteigenden Ranken geziert, deren Bandformen durch weitere, von den Bogenscheiteln ausgehende Ornamentbänder ergänzt werden, sodass sich acht Strahlen ergeben. Diese Gestaltung geht bis zur Motivik der mittleren Bänder mit versetzten Dreiecken, die ein Zickzackmuster bilden, auf das Westjoch der Soester Hohnekirche zurück. Das Ostgewölbe ist hingegen nur mit vier die Grate betonenden Bändern und auf den Kappen dazwischen mit vier Lebensbaummotiven geschmückt. Wie üblich stehen neben den Lebensbaummotiven zwei seitlich der Grate aufsteigende Bänder unterschiedlichsten Dekors aus Ranken, Blättern und Blüten, die hier jedoch einen von kleinen Blüten und Punkten betonten Grat begleiten. Die Ostkappe ist bei der letzten Restaurierung nur vereinfacht bemalt worden. Auch die Farbfassung des Chors und ihr Putzgrund wurden damals aufgegeben.
In den Seitenschiffsgewölben münden die Bänder, wie im Mittelschiff, in einem gemalten Schlussstein in Form eines Medaillons, das jeweils unterschiedlich gefüllt ist. Die in den Kappen verstreuten kleinen Sterne und Kreuzmotive in den Zentren der Stichkappen gehören zum allgemeinen Motivrepertoire.

Figürliche romanische Wandmalerei
Ehem. Kapelle, Sakristei, Apsis: Fragment zweier weiblicher Heiligen und eines tonsurierten männlichen Heiligen (Medaillon), als Begleitfiguren einer zu rekonstruierenden Majestas Domini bzw. Deesis.
Kirchenschiff, Nordapsis: Marienkrönung mit König David (links) und König Salomo (rechts), darunter Petrus und Paulus (nur die Köpfe erhalten).
Kirchenschiff, Nordostpfeiler: Hl. Bischof, evtl. hl. Urbanus?
Kirchenschiff, Bögen und Westgewölbe, in die Raumfassung integriert: Zwei Rankenfiguren, Laster Unkeuschheit, Samson auf dem Löwen, Fabelwesen.

Werktechnik/Maltechnik
Ehem. Kapelle (Sakristei), Ausführung der Malerei als Fresko auf einschichtigem Putz. Die Vorzeichnung der Figuren und teilweise auch die Anlage der Binnenflächen erfolgten mit gelbem Ocker, darauf in den Gesichtern dunkler ausgemischte Schatten und streng grafisch aufgetragene Weißhöhungen. Schwarze und braune Konturenzeichnung, Vergoldung der Nimben der beiden weiblichen Heiligen. Gewänder mit Schmuckborten mit gemalten Edelsteinen. Für Blautöne (Bildhintergrund, Edelsteine) Verwendung des kostbaren Pigments Lapislazuli, daneben Zinnober, Eisenoxidrot, Kupfergrün.
Nordapsis, Malerei auf Kalktünche auf einlagigem und stark geglättetem Putz. Die Vorzeichnung und Teile der Binnenfarben sind auf die frische Kalktünche aufgetragen. Rote Unterzeichnung der Gesichter und Gewänder, die als Kontur sichtbar bleibt. Reste von Chrysografien, die hier nicht als Lichter, sondern als kammartige Schatten ausgebildet sind (evtl. oxidiertes Zinnober). Die Nimben von Christus und Maria sowie das Buch Christi sind durch eingeschnittene Putzmodulationen betont, die nach Auftrag der Kalktünche mit einem Löffeleisen aus dem trockenen Putz herausgekratzt und anschließend vergoldet wurden. Der Thronsessel und die Nimben der übrigen Figuren waren ebenfalls vergoldet, allerdings ohne plastische Betonung. Im Bildhintergrund sind Reste von Azurit (Blaupigment) auf der ockerfarbenen Untermalung nachgewiesen.
Nordostpfeiler, Bischofsfigur, Freskomalerei auf dünnem, stark geglättetem Verputz. Rote Vorzeichnung, Reste von schwarzen Konturen, ehemals blauer Hintergrund, ein Teil des Rahmens ist Kupfergrün.
Kirchenschiff, figürliche Elemente der Raumfassung, gemalt auf eine Kalktünche, die auf dem von groben Zuschlägen geprägten, relativ dicken und nur unregelmäßig geglätteten Gewölbeputz liegt. Einige Vorritzungen bis in den Putz, der noch baufeucht gewesen sein muss. Es sind vorwiegend Erdfarben verwendet, warmes Grau für die Umrisse, gelber Ocker Eisenoxidrot und wiederum Grau für die Binnenfarben.

Restaurierungsgeschichte
Ehem. Kapelle (Sakristei), 1973-76 freigelegt und restauriert. Die Wandmalereifragmente sind nicht retuschiert und daher besonders aussagekräftig.
Nordapsis 1898 freigelegt, nicht übermalt. Restaurierung 1952/53. Vermutlich sind schon bei der Freilegung 1898 die Feinheiten der obersten, schlechter gebundenen Farbschichten verloren gegangen. Die farbliche Gesamterscheinung der Nordapsis ist heute insgesamt verändert. Vom ehemals strahlend blauen Hintergrund ist nur die ockerfarbene Untermalung übrig geblieben. Der Mantel von David und das Gewand von Salomo, heute stark verbräunt, waren ursprünglich leuchtend orangerot. Bei der Restaurierung wurden die Fehlstellen innerhalb der originalen Konturen in einem kräftigen Rotton vervollständigt. Die Linienführung folgt jedoch in den Gewändern durchweg dem Original. Allein an den Gesichtern des krönenden Christus und der Könige sind der Duktus der Linienführung und damit der Stil verändert. Der Kopf der Maria ist erneuert. Ihr vergoldeter Nimbus war, ebenso wie der Kreuznimbus Christi, ursprünglich mit radial angelegten, ovalen Putzeintiefungen geschmückt, die das Gold noch stärker reflektieren ließen.
Die Bischofsfigur am Nordostpfeiler ist durch Malschichtverluste reduziert, auch hier fehlt der blaue Hintergrund.
Die in die Raumfassung des Kirchenschiffs integrierten Figuren sind stellenweise ergänzt, einzelne Konturen nachgezogen und Binnenflächen überlasiert.

Beschreibung und Ikonografie
Ehem. Kapelle, Sakristei, Apsis: Auf dem größten Malereifragment im südlichen Teil der Kalotte haben sich zwei stehende weibliche Heilige erhalten. Sie tragen Kronen, die äußere Figur hat außerdem eine Lilie als Attribut. Das Malereifragment reicht bis in die Wandzone darunter und zeigt dort den Kopf eines tonsurierten Heiligen in einem Medaillon. Auf dem ockerfarbenen Trennstreifen zwischen dem Medaillonfries und der Kalotte weist ein Inschriftfragment auf die ehemals im Altar befindlichen Reliquien hin. Der thronende Christus lässt sich aufgrund von Resten der Mandorla und des Regenbogens in Kombination mit den Relikten von Evangelistensymbolen erschließen. Von den Evangelistensymbolen ist das rechte obere Tier, vermutlich der Markuslöwe, am Leib und den Flügeln auszumachen. Im nördlichen Bereich der Kalotte gibt es oberhalb des Medaillonfrieses ein Putzfragment mit roter Fassung, die wahrscheinlich – analog zu den beiden Heiligenfiguren der Südwand – von dem Gewand einer oder eines weiteren Heiligen stammt. Also stehen in der ehemaligen Kapelle nicht wie üblich Johannes der Täufer und ein Kirchenpatron, sondern zwei unbekannte weibliche Heilige zur Linken Christi, die rechte durch die Lilie als Jungfrau ausgewiesen. Auch die Anordnung der Evangelistensymbole entspricht mit dem Löwen oben rechts nicht dem bekannten Schema der Majestas Domini bzw. Deesis.
Kirchenschiff, Nordapsis: In der Kalotte ist in überlebensgroßen Figuren die Marienkrönung dargestellt. Der frontal zum Betrachter gewendete Christus setzt seiner Mutter Maria mit der Rechten die Krone aufs Haupt, wobei sie, leicht zu ihm gewendet, beide Arme ehrfürchtig erhoben hat. Darunter stehen zu beiden Seiten des Fensters zwei lebensgroße, stark bewegte Königsgestalten mit Schriftbändern, leider ohne überlieferte Inschriften. Die linke Figur trägt als Attribut die Leier und ist deshalb als König David zu identifizieren. Bei seinem attributlosen Gegenüber dürfte es sich um seinen Sohn, König Salomo, handeln. Im Maßstab deutlich verkleinert und nur noch bis zu den Schultern erhalten sind zwei weitere Heilige unterhalb der Könige. Sie lassen sich über ihre charakteristischen Frisuren und Kopftypen und das Schwert der rechten Figur als die Apostelfürsten Petrus und Paulus identifizieren.
Kirchenschiff, Nordostpfeiler: Von der Gesichtszeichnung des hl. Bischofs haben sich noch die roten Konturen erhalten, ein Einzug auf Höhe des linken Ohres zeigt ein eher hageres, längliches Gesicht an. Reste der roten Pupille verraten den unverwandten Blick auf den Betrachter. Die helle Mitra scheint unten von einer Borte geziert gewesen zu sein. Darunter kommen blonde Haare hervor, die jedoch nicht die Kontur des Gesichts übertreten. Vom hellen Gewand auf der linken Schulter sind noch kleine Partien erkennbar.
Möglicherweise kamen Reliquien des hl. Urbanus von Köln aus über das Soester Patroklistift zur Weihe des Neubaus um 1250 nach Weslarn. Dann würde die zu vermutende Identifizierung des Bischofs als hl. Urbanus in der Nähe des Altars eine historische Begründung erhalten.
Kirchenschiff, Bögen und Westgewölbe, in die Raumfassung integriert: Über den Kämpferplatten im südlichen Scheidbogen des Ostgewölbes beginnt der Rankendekor mit zwei Rankenfiguren, die als biegsame Halbfiguren die Rankenenden halten. Oberhalb des Südostpfeilers stützt die schlanke Gestalt mit streifigem, eng anliegendem Gewand ihre Linke keck in der Hüfte ab und scheint die über den Rahmen ziehende Ranke mit der Rechten festzuhalten, als würde diese sich selbständig machen wollen. Die westliche Rankenfigur zieht die Ranken wie einen Vorhang auseinander, um durch sie hindurchzuschauen. Sowohl die Figuren wie die Ranken treten an diesen Stellen über die rahmenden Bänder hinaus und bekunden einen lockeren und spielerischen Umgang mit dem Formenrepertoire. Beide Figuren haben blonde Haare, die östliche sogar sehr lange, und dunkle Bänder wie eine Kette eng um den Hals gelegt, was dafür spricht, dass es sich um weibliche Figuren handelt. Am Mittelpfeiler oberhalb des Kämpfers ist für den durch das Hauptportal auf der Südseite Eintretenden unübersehbar eine etwas derbe Lasterdarstellung positioniert. Im Zentrum steht eine Frau mit langem, wallenden Gewand und steifer Kopfbedeckung, die einen kleineren Mann umarmt und an sich zieht. An der Lasterhaftigkeit des Geschehens lassen die nebenstehenden Monster keinen Zweifel, die das Paar zueinander treiben und dabei aus allen Körperöffnungen stinken, wie kleine Strichbündel anzeigen.
Betrachtet man allein die originalen Partien der figürlichen Darstellung auf der Nordseite des Mittelschiffsgurtbogens, fällt auf, dass bis hin zur Armhaltung und dem Sitz der Figur auf dem Tier, wahrscheinlich einem Löwen – wie die Physiognomie in den erhaltenen Partien erahnen lässt – den bekannten Darstellungen des kräftestrotzenden, langhaarigen Samson, der den Löwen tötet, entspricht.
Auf der nördlichen Kappe des westlichen Mittelschiffsgewölbes finden sich Reste zweier Fabelwesen. Das besser erhaltene am Schildbogenrand hat einen hellen schuppigen Körper mit Fischschwanz, zwei Pranken an kräftigen haarigen Vorderbeinen und einen hellen pantherähnlichem Kopf mit herausgestreckter Zunge. Rechts von diesem Mischwesen sind zwei Vogelkrallen erhalten, eine mit roten Konturen, eine mit ockerfarbenen. Über dem ausbiegenden Rankenende, das hier ohne Befund aufgemalt wurde, ist noch ein kleiner Rest dieses Wesens, wohl von seinem Kopf übrig. Auf einem Archivbild lässt sich der Körper in etwa erschließen, es handelte sich wahrscheinlich um einen Vogelkörper, der entweder mit Schuppen oder mit Federn besetzt war.

Kunsthistorische Einordnung
In der Kirche in Weslarn sind vier verschiedene bauzeitliche Ausmalungsphasen zu unterscheiden:

  • Die ornamentale und figürliche Ausmalung der ehem. Kapelle (Sakristei) ist als Bestandteil der ersten Bauphase der Kirche um 1160/70 anzusetzen.
  • Im Kirchenraum folgen drei mit der Errichtung des Langhauses um 1250 zu datierende, von verschiedenen Malerhänden ausgeführte Wandmalereien:
    • die Raumfassung mit eingefügten Figuren in den Gewölben,
    • das Bischofsfragment in Freskotechnik am Nordpfeiler des Mittelschiffs,
    • die Nordapsis mit der Marienkrönung und Heiligen.

In dem kleinen Raum der ehem. Kapelle (Sakristei) steht, zumindest in Fragmenten, die anspruchsvolle Ausmalung einer Grablege, die sich vermutlich ein Soester Geistlicher errichten ließ, in Nahsicht vor Augen. Die reiche Ornamentik der Gewölbe schließt sich von den Motiven wie der Qualität der Ausführung her eng an die Ausmalung der Soester Petrikirche (um 1160/70) an. Als treffende Vergleiche für die figürlichen Darstellungen in der Apsis können Werke der Hildesheimer Buchmalerei aus dieser Zeitspanne herangezogen werden. Möglicherweise waren zwei unterschiedlich begabte Maler tätig, einer für die Gesichter und Hände und die Inschrift, ein zweiter für die nicht ganz so sicher gestalteten Gewänder. Die Wandmalerei könnte von einer Soester Werkstatt geschaffen sein, die über Vorlagen aus Hildesheim verfügte oder stark von Hildesheimer Malern beeinflusst war. Darüber hinaus zeigen sich stilistische Verwandtschaften mit den figürlichen Wandmalereien in Soest-Ostönnen und Bochum-Stiepel.
Die figürlichen Darstellungen in der Nordapsis lassen sich stilistisch und maltechnisch so eng an die Ausmalung der Haupt- und Südapsis der Balver Blasiuskirche anschließen, dass hier wahrscheinlich dieselbe Malerwerkstatt greifbar wird, eventuell mit geringem zeitlichem Abstand, was die leichten Unterschiede bei den Gewändern erklären könnte. Sowohl die Komposition mit den ineinander verschränkten oberen Registern wie die Hierarchisierung der Figurentypen und des malerischen Aufwandes zeugen in beiden Fällen von einem äußerst souveränen Umgang mit Maltechnik und Stil. Weitere Übereinstimmungen gibt es innerhalb der Figuren bei  den Standmotiven, Faltenwürfen und anderen Details bis hin zur zeichnerischen Anlage der Gesichter.
Eine eigene Handschrift und besondere Maltechnik findet sich bei der Bischofsdarstellung auf dem Nordostpfeiler des Mittelschiffs. Die Figuren der Soester Nikolaikapelle sind als nächste Verwandte zu sehen.
Die Raumfassung des Kirchenschiffs weist in vielen Einzelmotiven und dem Gesamtcharakter große Ähnlichkeiten mit der Soester Hohnekirche auf, was darauf hindeutet, dass dieselben Dekorationsmaler in beiden Kirchen tätig gewesen sein könnten. Die in die Ornamentik der Gewölbe integrierten Rankenfiguren und Darstellungen von Tugend und Laster sind von den Dekorationsmalern geschaffen und malerisch weniger qualitätvoll als die Figuren der Nordapsis und des benachbarten Bischofs. Dennoch zeigt die Einbindung der Figuren in die Raumfassung ein sicheres Gefühl für Rhythmus und Komposition bei einer teils verspielten, teils drastischen, mehr plakativ-dekorativen Darstellungsweise.

Datierung
Ehem. Kapelle um 1160/70, Kirchenschiff und Nordapsis um 1250.