Wandmalereien

Soest

Katholische Nikolaikapelle, Thomästraße 7


Soest, kath. Nikolaikapelle, Thomästraße 7, Grundriss (durch Anklicken der roten Markierungen werden die Kartierungen geöffnet).


Baukörper
Kleine Hallenkirche von drei Achsen mit zwei Mittelsäulen, dreiseitig gebrochenem Westabschluss mit innen liegender Empore, schmalem Chorjoch und halbrunder, eingezogener Apsis.

Baudaten
Errichtet im 3. Viertel des 12. Jahrhunderts als Kapelle des Propstes von St. Patrokli.

Romanische Raumfassung
Nach Freilegung und Restaurierung 1862/63 wieder übermalt 1933, 1963-66 erneut freigelegt und restauriert, nochmals konserviert 1984.
Die einheitliche Raumfassung von Wänden und Gewölben muss wegen des in die gemalte Ornamentik mit einbezogenen, sichtbar gelassenen Putzgrundes bauzeitlich sein.
Im Langhaus zieht ein Friesband mit Blattranken unterhalb der je drei Fenster entlang, auf dem die Bogenstellungen, die die Fenster rahmen, fußen. Weiß abgesetzt sind die aufgemalten Wandbehänge, die die Wandflächen darunter schmücken, jeweils mit entsprechendem Dekor auf den gegenüberliegenden Flächen und im Wechsel von Joch zu Joch, von einem Netz aus übereck gestellten Quadraten mit Kreuzen an den Knotenpunkten zu Medaillons auf dem Mitteljoch mit wohl fünfteiligen Palmetten. Die flachen Wandpfeiler waren nur an den Stirnseiten mit weiß gefugten grünen Quadern bemalt.
Der Gewölbedekor unterstreicht mit seiner das Gratsystem der Gewölbe überspielenden geometrischen Ornamentik aus Schlaufen und Quadraten den Eindruck einer durchgängigen Decke. In die schwarz oder grau konturierten Bänder, die sich mit ihrem freiliegenden gelblicheren Putzton von der gekälkten Umgebung abheben, sind mit weißer Kalkfarbe Blattornamente eingeschrieben. Mit wenigen Ausnahmen ist jeweils ein Ornament pro Joch in den zwei sich gegenüberliegenden schlaufenförmigen Bändern und dem dazwischen gespannten, quadratisch angeordneten Band verwandt worden. Hinzu kommen Schmuckformen wie aufsteigende Ranken, Kreise, Herzranken, Rhomben und tropfenförmige Ornamente mit jeweiligen Blattfüllungen.
Die Raumfassung ist so singulär wie die Grundrissgestalt und lässt sich daher zeitlich nicht leicht in die Reihe der westfälischen Ausmalungssysteme eingliedern, passt jedoch von Maltechnik und Binnenornamentik her gut ins ausgehende 12. Jahrhundert.

Figürliche romanische Wandmalerei
Chorjoch und Apsis: Thronender Christus mit Heiligen in der Kalotte, Apostelreihe in der Fensterzone und im Chorjoch, dort auch der hl. Nikolaus, im Gewölbe Thronende Muttergottes und Gestalten des Alten Testaments in Medaillons.

Werktechnik/Maltechnik
Freskomalerei auf dünnem, einlagigem Putz, der von oben nach unten aufgetragen und sorgfältig geglättet wurde. Deutlich erkennbar sind die horizontalen Putzgrenzen, die mit den Gerüstlagen im Abstand von 140 cm übereinstimmen. Für den neuen Putz als Malereiträger hatte man offenbar zuvor mit erheblichem Aufwand den ca. 70 Jahre alten bauzeitlichen Putz abgeschlagen.
Erhalten haben sich vor allem die freskal auf den frischen Putz aufgetragenen Malschichten, so die Vorzeichnung in Eisenoxidrot, sowie einige Binnenfarben und Untermalungen, welche mit Erdpigmenten ausgeführt wurden. Insbesondere die zu vergoldenden Flächen wurden vorgeritzt. Weiße Lichter, bis hin zu den aus dem byzantinischen Raum überlieferten Chrysografien (mäanderartige Höhungen), die  als Negativabdrücke bei der Johannesfigur überkommen sind und weitere farbige, nur noch partiell erhaltene Modellierungen und Schatten wurden in Secco-Technik aufgebracht. Vereinzelt wurden schwarze Konturen bei den Figuren, an der gemalten Architektur und der Ornamentik gefunden, es überwiegen jedoch deutlich die roten Konturen. Der Bildhintergrund war nach Maßgabe von Farbresten azuritblau.
Folgende Pigmente wurden verwendet: Eisenoxidrot, gelber Ocker, Grüne Erde, Kupfergrün, Azurit, Mennige, Zinnober, Pflanzenschwarz, Bleiweiß.
In der Gewölbetonne des Chorjochs sind die Nimben der Figuren an drei Stellen durch  plastische Putzapplikationen modelliert, an denen sich Goldreste nachweisen lassen. In der Apsiskalotte sind solche nicht mehr erhalten, wohl aber die Hackspuren, die auf die einstige Existenz vergoldeter Applikationen auch hier hindeuten, nicht nur an den Nimben, sondern auch am Thronsessel und an Heiligenattributen, Gewandelementen, Architekturdetails, Rahmungen und Ornamenten. Die Hacklöcher, die der besseren Haftung der plastischen Putzapplikationen dienen sollten, sind deutlich von den gestalterisch gewollten,  eingetieften Putzmodulationen z.B. in Balve und Soest-Ostönnen zu unterscheiden.

Restaurierungsgeschichte
1851 erstmals freigelegt. 1861/62 restauriert und dabei historisierend übermalt. 1964-65 Entfernung der Übermalung und Konservierung des romanischen Bestands. Erneute Konservierung 1984. 2013 Entfernung lose aufliegender Verschmutzungen und an drei Stellen Hinterfüllen beweglicher Putzschalen.
Der heutige Malereibestand gibt ein farbig nur noch schwaches, aber ansonsten recht vollständiges Bild der einstigen prächtigen Ausmalung. Neben den vielfarbigen Gewändern der unzähligen Figuren in Ocker, Hellrot, Dunkelrot, Rosa, Blau und Grün und ihren Ausmischungen mit zusätzlichen Goldakzenten zeigten auch die Bildrahmungen und -Gründe in leuchtendem Kupfergrün und grau unterlegtem Azuritblau kräftige Töne.

Beschreibung und Ikonografie
Der übergroße thronende Christus in der von den Evangelistensymbolen flankierten Mandorla beherrscht die gesamte Apsisausmalung. Mit der Linken hält er ein schmales Kreuz und umgreift das geschlossene, auf das linke Bein gestellte vergoldete Buch. Seine Rechte hat er zum Segensgruß erhoben und schaut mit ernstem Blick auf die Gläubigen herab. Wie bei den westfälischen romanischen Wandmalereien üblich, ist die Majestas-Darstellung hier durch Maria (zur Rechten Christi) und Johannes d. Täufer (zur Linken) als Fürsprecher für die Menschen zu einer Deesis erweitert. Maria hat ihre Hände bittflehend zu Christus erhoben, schaut jedoch – wie alle vier stehenden Heiligen – geradewegs auf den Betrachter herab. Neben ihr steht der hl. Nikolaus als Bischof, neben Johannes der Stadtpatron, der hl. Patroklus als Ritter.
In der Fensterzone der Apsis sind unter reicher Baldachinarchitektur die Zwölf Apostel angeordnet. Die Apostelreihe läuft in die Fensterlaibungen hinein. Dort sind im Scheitel Medaillons eingefügt, die innerhalb der seitlichen Apsisfenster Halbfiguren der beiden Erzengel Gabriel und Raphael und im Mittelfenster das Lamm Gottes zeigen. Die vier weiblichen Heiligen oberhalb der Apostel auf den Wandflächen sind mangels Attributen eher allgemein als weibliche Märtyrerinnen anzusprechen.
Im Anschluss an die Apostelreihe und nur unwesentlich größer als diese ist auf der Südwand des Vorjochs der heilige Nikolaus unter einer verbreiterten Bogenarchitektur dargestellt, dem seitlich heranfliegende Engel die Mitra aufsetzen und den Bischofsstab bringen. Die zu seinen Füßen anbetenden Figuren verweisen auf Episoden aus seiner Vita.
Die vier Ganz- und zwei Halbfiguren in Medaillons, die sich im Tonnengewölbe des Chorjochs befinden, lassen sich folgendermaßen identifizieren: Zur Linken der thronenden Gottesmutter Maria sind Jesaja und als zugehöriger großer Prophet gegenüber zu ihrer Rechten Jeremias zu identifizieren. Darunter stehen auf der Nordseite Aaron und gegenüberliegend Gideon. Die Brustbilder über den Kämpfergesimsen zeigen rechts König David mit Harfe und Krone und links gegenüber seinen Sohn König Salomo.
Mit der Darstellung der jungfräulichen Maria mit dem Christuskind im Scheitel des Vorchorgewölbes, auf die sich die alttestamentarischen Propheten und Könige als Antitypen beziehen, ist der inhaltlich weite Bogen der Bibel in diesem Ausmalungssystem gespannt: vom Alten über das Neue Testament bis zum endzeitlichen Christus in der Kalotte darunter als Darstellung der Offenbarung des Johannes.

Kunsthistorische Einordnung
Die reiche spätromanische Bemalung des Chores mit einem sowohl die Wände wie die Gewölbe von Chorjoch und Apsis überziehenden, inhaltlich komplexen Ausmalungssystem ist in ihrer künstlerischen Qualität und ihrem Erhaltungszustand ein Denkmal von allerhöchstem Rang.
Mit spitzig abstehenden Gewandzipfeln und voluminösen, zusammengeschobenen Gewändern mit starken Brechungen zeigt die Darstellung die typischen Elemente des Zackenstils.
Die stilistische Analyse der Figuren hat eine Scheidung von zwei Malerhänden wahrscheinlich gemacht, die sowohl an der Ausmalung der Apsiskalotte wie auch auf der Südwand des Vorjochs an der Nikolausszene zusammen gearbeitet haben könnten. Die Reihe der Apostel und die Reihe der Propheten wären dann jeweils nur einer Hand zuzuweisen.
Die Charakteristika der Apsismalerei mit ihrer gedrängten Fülle von Figuren und Ornamentik, den reichen Vergoldungen und Chrysografien, den am antiken Ideal orientierten Physiognomien und Figurentypen, angelehnt an Vorlagen aus einem Soester Werkstattkreis und eventuell auch an Vorlagen aus Kölner Werkstätten, kombiniert in einem breiten Formenspektrum, lassen sich am besten in die Zeit um 1250 datieren und damit einer Soester Werkstatt am Ende der Stauferzeit unter dem Einfluss des Kölner Erzbischofs Konrad I. von Hochstaden zuordnen.

Datierung
Um 1250, Raumfassung um 1180.